Kautschuk_Ausgabe_2025_23

Schwerpunkt Sozialversicherung: Wie verhindern wir den Kollaps? 07–09 Chefgespräch Warum Krahn Chemie den Standort Bottrop stärkt 12-13 Fit für den Job Was ist eigentlich ein Betriebsgeheimnis? 14 DAS MAGAZIN FÜR UNSERE BRANCHE. Ausgabe 23 / Oktober 2025 NACHHALTIG BIS ZUM SCHLUSS Ein Start-up entwickelt Urnen, die sich selbst zersetzen. Bestatter warten auf diese Innovation

online unter kautschuk-magazin.de Kurz notiert Flaute in der Gummi- und Kunststoffindustrie, Reifen aus Speiseöl, Freudenberg mit neuem Standort: News aus der Branche 03 Inhalt Titelfoto: KAUTSCHUK/Daniel Heitmueller, Foto oben: ADK Liebe Leserinnen und Leser! Es gibt ein Thema, bei dem meine Tante und ich selten einer Meinung sind: die Rente. Sie ist kinderlos, hat über 45 Jahre lang den Spitzensatz in die Sozialsysteme eingezahlt und sich einen sorgenfreien Ruhestand verdient. Ich hingegen stehe mitten im Berufsleben, habe noch mindestens 20 Beitragsjahre vor mir und längst den Glauben verloren, später eine staatliche Altersversorgung zu erhalten. Natürlich freue ich mich, wenn meine Tante nach einer Rentenerhöhung mehr Geld auf dem Konto hat. Schließlich wird auch für sie das Leben immer teurer. Gleichzeitig bin ich ernüchtert, wenn von meiner Gehaltserhöhung, die brutto gut aussieht, netto kaum etwas ankommt. Irgendjemand muss den Spaß ja bezahlen. Neulich bekam meine Tante wieder Post von der Rentenversicherung: 70 Euro mehr im Monat – theoretisch. Wegen gestiegener Kranken- und Pflegebeiträge landen aber nur 40 Euro zusätzlich auf ihrem Konto. Bei der Betriebsrente beträgt der Zuwachs maue 10 Cent. Ihr Kommentar: Bei solchen Kleckerbeträgen könne man die Erhöhung auch gleich lassen. Fakt ist: Unser Sozialsystem ist dramatisch in Schieflage geraten, Reformen sind überfällig. Andernfalls können bald weder die Alten noch die Jungen von dem leben, was hierzulande erwirtschaftet wird. Doch wie lässt sich das Dilemma um Renten-, Pflege- und Krankenversicherung lösen? Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Wir stellen sie in unserem Schwerpunkt ab Seite 7 vor. Eines ist sicher: Von allein verschwinden die Probleme nicht. Mut zu Reformen ist gefragt. Und auch die Älteren werden verzichten müssen, wenn wir einen Generationenkonflikt vermeiden wollen. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit dieser Ausgabe. Die nächste erscheint am 29. November. Herzlichst Ihre Isabel Link Leiterin interne Kommunikation ADK Mein Ding Zerspanungsmechaniker Tim Schmidt fräst bei Indunorm in Bockenem Werkstücke – und dirigiert Roboter 04 Standort Klimaschutz: Warum Deutschland jetzt endlich auf CO2-Speicherung setzt 06 Schwerpunkt Rente, Pflege, Gesundheit: Die Sozialkassen sind unter Druck. Wie kommt das System wieder ins Gleichgewicht? 07 Unser Ding Abschied im Kreislauf der Natur: Das Start-up Sustainable Manufacturing bietet eine Urne, die sich selbst zersetzt 10 Das Ding / Glosse Beißschienen: Entspannung für die Kaumuskulatur / Bonzo erklärt, warum die Rentenpolitik mehr Biss braucht 16 Mehr Informationen zur Berechnungsmethodik, zur Kompensation und dem gewählten GoldstandardKlimaschutzprojekt finden Sie unter klima-druck.de/ID. klima-druck.de ID-Nr. Druckprodukt CO₂ kompensiert 24166749 IMPRESSUM KAUTSCHUK erscheint im Verlag der Institut der deutschen Wirtschaft Köln Medien GmbH Postfach 10 18 63, 50458 Köln Konrad-Adenauer-Ufer 21, 50668 Köln Herausgeberin Isabel Link, Hannover Redaktionsleiter Roman Winnicki (verantwortlich) Redaktion Elke Bieber, Stephan Hochrebe; Ursula Hellenkemper (Schlussredaktion) Kontakt 0221 4981-670 redaktion@kautschuk-magazin.de Gestaltung Alice Kaiser, Wahideh Mostafawy; Daniel Roth (Bilder) Vertrieb Tjerk Lorenz, 0221 4981-216 vertrieb@kautschuk-magazin.de Fragen zum Datenschutz datenschutz@kautschuk-magazin.de Alle Rechte liegen beim Verlag. Rechte für Nachdruck oder elektronische Verwertung erhalten Sie über lizenzen@iwkoeln.de. Druck Zeitungsdruck Dierichs GmbH & Co. KG, Kassel KAUTSCHUK wird gedruckt auf mit dem Umweltzeichen „Blauer Engel“ ausgezeichneten Papier aus 100 Prozent Recycling-Material. Chefgespräch Krahn Chemie setzt mit der Erweiterung in Bottrop auf Praxisnähe und Innovation: CEO Martin John erklärt das 12 Fit für den Job Pssssssst: Geschäftsgeheimnisse bleiben besser geheim – auch vor Chatbots, wie ADK-Jurist Dirk Seeliger warnt 14 Zahlen & Fakten Alles vom Acker: Warum kleine Höfe kämpfen, große wachsen und wie Hightech die Landwirtschaft verändert 15 02 — KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025

FLAUTE IN DER GUMMIBRANCHE FRANKFURT A. M. Die neuesten Zahlen der deutschen Kautschukindustrie zeichnen ein düsteres Bild: Im ersten Halbjahr 2025 brachen Produktion, Umsätze und Beschäftigung im Inland kräftig ein. Nach Angaben des Wirtschaftsverbands der deutschen Kautschukindustrie (wdk) sank die Produktion gegenüber dem Vorquartal um 8,2 Prozent auf 560.000 Tonnen. Die Kapazitätsauslastung fiel auf 77,8 Prozent (‒ 1,1 Prozent) und die Zahl der Beschäftigten auf 60.200 (‒ 6,2 Prozent). Besonders gravierend ist der Einbruch des Inlandsumsatzes, der um 9,6 Prozent auf 3,2 Milliarden Euro zurückging. Damit fällt das Minus im Inland deutlich stärker aus als im Auslandsgeschäft, wo die Erlöse um 4,7 Prozent auf 2,2 Milliarden Euro sanken. Insgesamt lag der Branchenumsatz bei 5,4 Milliarden Euro, was einem Rückgang von 7,7 Prozent entspricht. „Im Fußball heißt es: Die Tabelle lügt nicht. Und in der Wirtschaft gilt ebenso: Die Daten lügen nicht“, betonte wdk-Präsident Michael Klein. „Und genau da sehen wir beim Inlandsmarkt der Kautschukindustrie tiefrote Zahlen in allen Bereichen.“ Die bittere Realität sei, dass Unternehmen die inländische Nachfrage zunehmend mit Produkten aus ihren ausländischen Werken bedienen. Einzig der Geschäftsklima-Index des wdk deutet für das zweite Halbjahr auf eine leichte Stimmungsaufhellung hin. Klein sieht die Politik gefordert: Der angekündigte „Herbst der Reformen“ müsse schnell zu spürbaren Entlastungen führen, vor allem beim Bürokratieabbau. NEUER STANDORT FÜR FREUDENBERG HAMBURG. Freudenberg Sealing Technologies hat in Hamburg-Wandsbek ein neues Warenlager mit Büroflächen eingeweiht. Auf 8.800 Quadratmetern bietet der Standort rund 30 Prozent mehr Fläche als der bisherige. „In diesen Standort investieren wir mit voller Überzeugung. Denn mit der Hansestadt verbindet uns eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte“, sagte Dr. Matthias Sckuhr, CEO von Freudenberg Sealing Technologies, in seiner Eröffnungsrede. Kernstück ist eine Autostore-Anlage, in der 22 Roboter über 13 Ports bis zu 65.000 Behälter bewegen. Laut Unternehmen ermöglicht die Technik eine deutlich höhere Lagerdichte und beschleunigt die Kommissionierung der mehr als 30.000 Artikel. Das Unternehmen beliefert aus Hamburg Kunden im technischen Handel und Erstausrüster der allgemeinen Industrie. Der Umzug war notwendig, weil die alten Räumlichkeiten an ihre Kapazitätsgrenzen stießen. ABWÄRTSTREND BEI KUNSTSTOFF FRANKFURT A. M. Nach einem positiven Jahresauftakt musste die kunststofferzeugende Industrie in Deutschland im zweiten Quartal 2025 einen herben Dämpfer hinnehmen: Laut dem Verband der Kunststofferzeuger Plastics Europe Deutschland sank die Produktion gegenüber dem Vorquartal um 4,3 Prozent und lag damit 6,2 Prozent unter dem Vorjahreswert. Auch Auftragseingänge und Umsätze gingen spürbar zurück. Die Bestellungen fielen im In- und Ausland um rund 7 Prozent, der Branchenumsatz sank um 2,4 Prozent auf 6,3 Milliarden Euro. Etwa ein Drittel des Umsatzes entfiel auf das Inland, zwei Drittel auf das Ausland. Besonders auffällig war der Anstieg der Importe aus China (+ 11,9 Prozent). Zudem setzten die Erzeugerpreise für Kunststoffe in Grundformen – etwa Granulate oder Pulver – ihren Abwärtstrend fort: Sie fielen um 0,6 Prozent gegenüber dem Vorquartal und lagen 2,4Prozent unter dem Vorjahresniveau. Für die kommenden Monate erwartet der Verband keine Verbesserung der Lage. „Die Stagnation ist noch nicht überwunden“, erklärt Dr. Christine Bunte, Hauptgeschäftsführerin von Plastics Europe Deutschland. Gegen die Ursachen wie hohe Energiepreise und überbordende Bürokratie steuere die Bundesregierung inzwischen zwar gegen, dennoch würden Deutschlands Kunststoffbetriebe noch „einen langen Atem brauchen“. Trotz dieser Entwicklung blieb die Beschäftigung mit 55.400 Mitarbeitenden stabil, wenn auch unter dem Vorjahreswert. REIFEN AUS SPEISEÖL HANNOVER. Continental will den Anteil nachhaltiger Materialien in der Reifenproduktion deutlich erhöhen: Von derzeit 26 Prozent soll er bis Ende 2025 auf fast 30 Prozent und bis 2030 auf mindestens 40 Prozent steigen. Im Mittelpunkt steht der Einsatz von synthetischem Kautschuk aus gebrauchtem Speiseöl. Während Naturkautschuk wegen seiner hohen Belastbarkeit und Haltbarkeit vor allem in den Laufflächen verwendet wird, trägt synthetischer Kautschuk ergänzend dazu bei, Bremsverhalten und Rollwiderstand zu verbessern. Ein moderner Pkw-Reifen besteht aus bis zu 100 verschiedenen Rohstoffen und über 20 maßgeschneiderten Kautschukmischungen. Continental integriert zunehmend nachhaltigere Komponenten in diese Mischungen, darunter neben Kautschuk aus Speiseöl auch zirkuläre Harze, die für Eigenschaften wie Elastizität, Nasshaftung und Abriebfestigkeit entscheidend sind. Darüber hinaus setzt das Unternehmen erstmals das ISCC-PLUS-zertifizierte Kautschukadditiv TMQ ein, dessen Rohstoffbasis aus biozirkulärem Aceton – gewonnen aus recyceltem Speiseöl – stammt. Nach Unternehmensangaben senkt dieses Additiv den CO2-Fußabdruck im Vergleich zu herkömmlichen Varianten um mehr als 30 Prozent. Roman Winnicki Kurz notiert Aktuelle Nachrichten aus der Branche Freudenberg eröffnet neues Lager in Hamburg. Foto: JK/Freudenberg Erstes Halbjahr 2025 DEUTSCHE KAUTSCHUKINDUSTRIE * Technische Elastomererzeugnisse, Quelle: wdk Produktion (Tonnen) Kapazitätsauslastung (in %) Beschäftigte Umsatz (in Mio. €) Branche Inland Ausland Reifen TEE* Continental setzt auf nachhaltige Rohstoffe. Foto: Continental AG -8,2 % -1,1 % -6,2 % -7,7 % -9,6 % -4,7 % -8,2 % -7,4 % 560.000 77,8 60.200 5.420 3.200 2.200 1.910 3.510 Änderung zum Vorjahreszeitraum Symbolbild: C_SGr – stock.adobe.com „Die Tabelle lügt nicht“: Der wdk fordert von der Politik spürbare Entlastungen für die Kautschukbranche. KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025 — 03

BOCKENEM. Die Maschinen surren leise. Ein Roboterarm greift ein Werkstück und setzt es millimetergenau in die Fräsmaschine ein. Tim Schmidt schaut kurz auf den Monitor, nickt zufrieden und tippt eine neue Anweisung ein. Dann lehnt er sich zurück. „Jetzt läuft’s von allein“, sagt er und lacht. Schmidt ist 25 Jahre alt, Zerspanungsmechaniker aus dem Landkreis Hildesheim. Er hat bei Indunorm gelernt, heute ist er ein wichtiger Teil des 30-köpfigen Teams in Bockenem. Und einer von vielen, die hier früh Verantwortung übernehmen. „Ich mache nicht jeden Tag das Gleiche. Keine Bandarbeit, viel Abwechslung. Und ich kann auch mal ins Büro – das ist für mich die perfekte Mischung.“ Die Indunorm Fertigungstechnik ist ein Zerspanungsbetrieb mit angeschlossener Kunststoffspritzerei, ein Tochterunternehmen der Indunorm Bewegungstechnik mit Sitz im nordrhein-westfälischen Duisburg. Drehen, fräsen, bohren in Stückzahlen von 1 bis 20.000 – die Firma ist die klassische verlängerte Werkbank. Der Mann, der sie steuert, heißt Carsten Rock. Der 36-Jährige machte seine Ausbildung bei der Leichtmetallgießerei KSM Castings in Hildesheim, wechselte anschließend zu Indunorm. Heute leitet er den Familienbetrieb. „Wir machen kein großes Aufheben“, sagt Rock. „Wir liefern Qualität, zuverlässig und schnell.“ ROBOTER ERGÄNZEN, ABER ERSETZEN KEINEN In der Fertigungshalle arbeiten vor allem junge Leute. Fast alle haben hier gelernt, viele sind nach der Ausbildung geblieben. „Wir setzen bewusst auf Nachwuchs aus der Region“, sagt Rock. „Wir bilden selbst aus – und trauen unseren Leuten vom ersten Tag an was zu.“ Doch Nachwuchs zu finden werde immer schwieriger, sagt der Geschäftsführer: „Es ist ein Riesenproblem. Viele junge Leute wissen gar nicht, was wir hier machen und wie spannend das ist.“ Deshalb engagiert sich Indunorm im Verband Unternehmer Hildesheim und führt regelmäßig Schülergruppen durch die Produktion. „Wenn die erst mal gesehen haben, wie Hightech bei uns aussieht, sind viele begeistert“, sagt Rock. Dabei hilft moderne Technik. 90 Prozent der Arbeitsplätze in der Fertigung sind mit Monitoren ausgestattet. Die Maschinen sind hochautomatisiert, Roboter übernehmen viele Aufgaben. Aber sie ersetzen niemanden – sie ergänzen. „Unsere Leute wissen: Die Roboter nehmen dir nicht die Arbeit weg. Sie geben dir Freiheit“, sagt Rock. Max Saradeth, 23, steht an einer der modernsten Anlagen. Eine Fünf-Achs-Fräsmaschine, gekoppelt mit einem Indumatik-Roboter. „Das System läuft nach der Normalschicht allein weiter. Ich bestücke es tagsüber – und nachts arbeitet es autonom“, erklärt er. Das spare Energie und Zeit. „Die Maschine weiß selbst, welches Teil als nächstes dran ist. Das ist ziemlich cool.“ Auch bei der Organisation geht Indunorm neue Wege. Die Arbeitszeiten sind flexibel, der Schichtbetrieb ist so aufgebaut, dass die Roboter nach der Tagschicht weiterarbeiten können. „Das erhöht unsere Effizienz enorm“, erklärt Rock. „Und die Mitarbeiter sehen direkt, was sie bewegt haben.“ Das motiviert – und bindet. Viele der Stammkunden, vor allem aus dem Maschinenbau, schätzen genau das. „Unsere Kunden wissen: Wenn es schnell gehen muss, sind wir da“, sagt der Geschäftsführer. Künstliche Intelligenz war bislang kein großes Thema für Indunorm. Aber Rock sieht Potenzial. „KI wird kommen. Aber nicht zum Selbstzweck“, sagt er. „Für uns zählt: Sie muss die Energieeffizienz verbessern. Dann bringt sie uns weiter.“ Das alles passiert in einem Neubau, der in Bockenem seinesgleichen sucht: ein moderner Industriebau auf der grünen Wiese – hell, funktional, offen. „Wir wollten zeigen: Hier passiert Zukunft“, sagt Rock. Genau deshalb lud das Unternehmen Ende September bei der letzten EMO nicht nur auf die Messe nach Hannover ein, sondern auch nach Bockenem. Kunden aus dem ganzen Bundesgebiet besuchten die Weltleitmesse der Produktionstechnologie – und fuhren anschließend zum Workshop bei Indunorm. „Es gab Einblicke in unsere Fertigung und einen Gastredner, der Impulse zum Thema Digitalisierung in der Zerspanung setzte“, berichtet Rock. WERKSTOLZ IST EIN GROSSER MOTIVATOR Und was macht Indunorm besonders? Der Geschäftsführer überlegt kurz. Dann sagt er: „Wir sind Familie. Und Hightech. Und wir wissen: Wer Verantwortung gibt, bekommt Engagement zurück.“ Und wer etwas geschaffen hat, der darf auch stolz auf das Erreichte sein. In der Fertigung surrt es wieder. Tim Schmidt blickt auf das fertige Werkstück. „Man sieht genau, was man ge- schafft hat“, sagt er. Und greift zum nächsten Auftrag. Werner Fricke Fotos: KAUTSCHUK/Chris Gossmann (5) Sehen, was man bewegt Mein Ding Tim Schmidt ist Zerspanungsmechaniker bei Indunorm in Bockenem. Sein Job: millimetergenaue Detailarbeit. Dass ihm die Arbeit Spaß macht, liegt auch am Teamwork mit seinen Kollegen: den Robotern „Keine Bandarbeit, und ich kann auch mal ins Büro – für mich die perfekte Mischung“ Tim Schmidt Produktions-Profi: Tim Schmidt hat schon seine Ausbildung bei Indunorm gemacht. Auf den tausendstel Millimeter: An der Fräsmaschine ist Maßarbeit gefragt. Moderne Ausstattung: Viele der Maschinen bei Indunorm sind hochautomatisiert. Indunorm Fertigungstechnik – die Fakten 2001 als Tochterunternehmen der Indunorm Bewegungstechnik gegründet, ist das Unternehmen mit Sitz in Bockenem heute auf CNC-Fertigung und Kunststofftechnik spezialisiert. Mit seinen 30 Beschäftigten produziert es Kunststoffteile im Spritzgussverfahren unter anderem für Branchen wie Maschinenbau oder die Automobilindustrie. Fachsimpeln mit dem Chef: Tim Schmidt (links) im Gespräch mit Geschäftsführer Carsten Rock. Blick in die Werkhalle: Im Hintergrund sieht man die neue Fräsmaschine mit dem Indumatik-Roboter. KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025 — 05 04 — KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025

WIE WERDEN DIE ANLAGEN FINANZIERT? Das sieht auch die Regierung so und hat deshalb im August eine Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes auf den Weg gebracht. Sie soll Unternehmen den Transport, die Speicherung und die Nutzung von CO2 erlauben. Industrieverbände begrüßen das – und mahnen eine zügige Verabschiedung des Gesetzes an. „Jetzt liegt es am Gesetzgeber, wie viel zusätzliche Kosten auf die Industrie zukommen“, mahnt Martin Ogilvie vom Bundesverband der Deutschen Kalkindustrie. IW-Experte Fischer begrüßt die Öffnung für CCS, die auch die Ampelregierung bereits vorgesehen hatte: „Da nun bald die rechtlichen Grundlagen bestehen, kann die Planung für notwendige Infrastrukturen endlich Fahrt aufnehmen.“ Michael Aust KÖLN. Wohin mit dem Abfallprodukt CO2? Vor diesem Problem stehen Industriebetriebe in aller Welt. Denn noch werden viele Fertigungsprozesse durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe angetrieben. Dabei wird Kohlendioxid freigesetzt, das sich in der Atmosphäre ablagert – was bekanntlich den Treibhauseffekt anheizt. CO2 einfach so weiter in die Gegend zu pusten, wäre deshalb die schlechteste Lösung. WASCHANLAGE FÜR KOHLENDIOXID Über das Ziel – weniger CO2 in der Atmosphäre – herrscht weltweit (beinahe) Einigkeit. Worüber gestritten wird, ist der Weg dorthin: Müssen alle Unternehmen ihre Kohlendioxid-Emissionen komplett reduzieren? Oder können sie auch einen Teil der frei werdenden Klimagase auffangen und wegspeichern? Genau das soll in Deutschland nun endlich erlaubt werden. Eine Technologie dafür ist das sogenannte Carbon Capture and Storage, kurz CCS. Dabei wird Kohlendioxid in einer Art Waschanlage aus den Abgasen der Fabrik abgetrennt, verflüssigt und anschließend irgendwo tief in die Erde gepresst. Laut der Internationalen Energieagentur laufen weltweit CCS-Projekte mit einer Kapazität von über 400 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr – mehr als die Hälfte in den USA. Der Pilotversuch für einen deutschen CO2-Speicher ist allerdings seit über zehn Jahren vorbei: Im brandenburgischen Ketzin wurde fünf Jahre lang CO2 unter die Erde gepresst. Problemlos, aber eben nur testweise. „Eine kommerzielle Nutzung gibt es bei uns bisher nicht“, erklärt Andreas Fischer, Energieexperte im Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Einfach, weil der Gesetzgeber dies bislang verboten hat. Ein Grund war damals die Sorge, die „bequeme“ Technologie würde die Wirtschaft vom CO2-Sparen abhalten. Was oft übersehen wird: In manchen Branchen wie etwa bei der Zementherstellung lassen sich Klimagase gar nicht vermeiden. In der Kalkindustrie werden zwei Drittel der CO2-Emissionen durch das Brennen aus dem Rohmaterial freigesetzt. „Will Deutschland bis 2045 klimaneutral, aber nicht de-industrialisiert werden, braucht es auch CCS“, betont Fischer. Grünes Licht für CCS Standort Die Regierung will Unternehmen erlauben, CO2 abzuscheiden und im Boden zu speichern. Das hilft besonders der Zement- und Kalkindustrie Illustration: Macrovector – stock.adobe.com CCS und CDC Bei CCS (Carbon Capture and Storage) wird das CO2 direkt an der Quelle – etwa an einer Industrienanlage – aufgefangen und in einen Speicher geleitet. So gelangt es nicht in die Atmosphäre. Bei CDC (Carbon Dioxide Removal) entnimmt man Kohlendioxid aus der Luft, etwa durch das Pflanzen von Bäumen, das Anlegen von Mooren oder mit Anlagen zur Abscheidung. CARBON CAPTURE – WELTWEIT IM TREND Kommerzielle Projekte zur Abscheidung und Speicherung von CO2 Stand: Ende 2024, Quelle: Global CCS Institute In Betrieb 43 Im Bau 32 Fortgeschrittenes Entwicklungsstadium 133 Frühes Entwicklungsstadium 187 06 — KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025

Eigenanteile beim Arztbesuch löhnen – oder noch mehr Geld fürs Pflegeheim? Alles schwierig, keine Frage. Noch heikler aber wäre eine weitere Erhöhung der Sozialbeiträge. Die belaufen sich ja schon heute auf 42,5 Prozent vom Brutto, hälftig getragen von Betrieben und Beschäftigten. Bleiben harte Reformen aus, könnte die Beitragslast bis zu 50 Prozent erreichen, fürchtet der Wirtschaftsweise Professor Martin Werding. Folgen: Noch weniger Netto vom Brutto für die Erwerbstätigen – und noch höhere Arbeitskosten, das wäre eine Art K.-o.-Schlag für Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit. Wie die Lage unserer Sozialkassen aussieht und was Experten empfehlen: Das beleuchten die Texte dieses Schwerpunkts. Ulrich Halasz Was sehen Sie auf dem Bild da unten? Opa und Enkel, Alt und Jung, zusammen auf einer Wippe. Harmonie pur, könnte man denken. Doch man kann das Foto auch ganz anders deuten: sinnbildlich – für den Zustand unserer Sozialsysteme. Die Senioren? Haben einen sicheren Platz, denen geht’s gut, da passiert nix. Und die Jungen? Hängen in der Luft, kriegen kein Bein mehr auf die Erde. Denn es ist was aus der Balance geraten in unserem Sozialstaat. Der demografische Wandel und die stetig steigende Lebenserwartung lassen die Kosten der Renten-, der Kranken- und der Pflegeversicherung immer weiter ausufern. Simpel gesagt: Weil immer weniger junge Erwerbstätige immer mehr ältere Leistungsempfänger finanzieren müssen, gerät das System an Grenzen. Experten mahnen daher dringend zu Reformen. „Wir müssen uns auf jeden Fall mit den Sozialversicherungen beschäftigen. Die sind nicht zukunftsfest“, warnt zum Beispiel die Wirtschaftsweise Professorin Monika Schnitzer. Für sie ist klar: „Wenn die Regierung nichts tut, wird der Kollaps unweigerlich kommen.“ Wobei ja auch der Kanzler verbal schon heftig auf den Alarmknopf drückt: „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar“, sagt Friedrich Merz. Klar: Das Problem mit unserer alternden Gesellschaft ist nicht ganz neu. Wurde bislang aber politisch nicht wirklich angefasst, weil unpopulär. Aber inzwischen sind die nackten Zahlen zu schockierend, um sie weiter ignorieren zu können. 2024 beliefen sich die Kosten unseres Sozialstaats auf insgesamt 1.345 Milliarden Euro! Wie sehr die Sozialversicherungszweige schlingern, zeigt ein kurzer Blick auf die Rentenkasse. Gut 120 Milliarden Euro musste der Staat zuletzt aus Steuermitteln zuschießen. Rund ein Viertel des Bundeshaushalts! ES DROHT NOCH WENIGER NETTO Aktuell wird der Debatten-Ton rauer: Die Boomer leben lustig auf Kosten der Jungen, so wettern manche. Professor Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, hält den deutschen Generationenvertrag längst für gebrochen – und fordert deshalb sogar ein „Sozialjahr für alle Rentner“. Bei den Älteren kommen derlei Vorstöße so gut an wie Techno beim Tanztee. Ihr Konter: Die Jungen sollen eben mehr arbeiten, statt von Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance zu salbadern. Wie aber löst man das jetzt? Leistungen kürzen? Rentenniveau sinken lassen? Schwerpunkt Aus der Balance Rente, Gesundheit, Pflege: Unsere Sozialkassen sind dramatisch in Schieflage. Echte Reformen müssen her, sonst droht der Kollaps. Wie kann die Politik das Gleichgewicht zwischen den Generationen wieder herstellen? KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025 — 07 17,5 PROZENT VOM BRUTTOLOHN ENTRICHTEN ARBEITGEBER UND ARBEITNEHMER IM SCHNITT AN DIE KRANKENVERSICHERUNG 120 MILLIARDEN EURO FLIESSEN JEDES JAHR AUS DEM BUNDESHAUSHALT AN DIE REN- TENKASSE. TENDENZ: STEIGEND 1,35 KINDER JE FRAU WERDEN HIERZULANDE GEBOREN. BEI DER ERSTEN GEBURT SIND DIE MÜTTER IM SCHNITT 30,4 JAHRE ALT Quellen: IW, Statistisches Bundesamt, Bundesministerium für Arbeit und Soziales 800.000 MENSCHEN LEBEN SCHON HEUTE IN PFLEGEHEIMEN DURCHSCHNITTSALTER DER DEUTSCHEN BEVÖLKERUNG (in Jahren) Foto: Ljupco Smokovski – stock.adobe.com 1990 39,3 2000 41,1 2010 43,7 2020 44,6 2024 44,9 Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Krankenkasse – Explodierende Kosten Experten fordern eine grundlegende Kur des Systems Unser Gesundheitssystem wird immer teurer. Neben dem allgemeinen Beitragssatz in Höhe von 14,6 Prozent wird ein Zusatzbeitragssatz je nach gewählter Krankenkasse fällig. Gemeinsam zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber deshalb im Schnitt 17,5 Prozent vom Bruttoeinkommen an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) – 1,2 Prozentpunkte mehr als noch 2024! HOHE AUSGABEN, WENIG WETTBEWERB Ein Grund dafür sind die „überproportional stark steigenden Ausgaben“, sagt Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Der Anstieg liegt am medizinischen Fortschritt, aber auch am demografischen Wandel: Immer weniger Arbeitnehmer müssen für immer mehr ältere Patienten immer teurere Behandlungen bezahlen. Um die Kosten zu senken, fordern manche, den Leistungskatalog der Kassen einzuschränken. Andere schlagen vor, dass gesetzlich Versicherte künftig Arztrechnungen zunächst vorstrecken und sich die Kosten dann erstatten lassen: Das würde womöglich unnötige Arztbesuche verhindern. Lösungen soll nun eine Expertenkommission finden, die bis März 2027 Vorschläge liefern soll. IW-Experte Pimpertz hat bereits konkrete Ideen: Er fordert mehr Wettbewerb, etwa in der ambulanten Versorgung. Bislang würden Ärzte durch das System der Kassensitze davor geschützt. Auch die einheitliche Gebührenordnung verhindere Vergleiche. „Aktuell können wir überhaupt nicht feststellen, ob Praxis A eine gleichwertige Leistung günstiger bereitstellt als Praxis B“, kritisiert er. Statt Leistungen zu kürzen, sollte es Tarife mit eingeschränkter Arztwahl geben – bei gleichbleibendem Versicherungsschutz. Ärzte müssten sich dann um die Behandlung von Kassenpatienten bewerben, was den Wettbewerb anfachen würde. VORBILD KÖNNTE DIE BEIHILFE SEIN Bei der Finanzierung plädiert Pimpertz dafür, das Umlagesystem (bei dem junge Beitragszahler langfristig Geld verlieren) durch eine Kombi-Lösung aus GKV und verpflichtender kapitalgedeckter Vorsorge zu ersetzen. Vorbild könnte die Beihilfe mit Zusatzversicherung sein, die es für Beamte gibt: „So würde die GKV solidarisch bleiben – aber fairer zwischen den Generationen aufgestellt.“ Michael Aust „Wir brauchen mehr Wettbewerb in der ambulanten Versorgung“ Jochen Pimpertz, Institut der deutschen Wirtschaft Fotos: Ljupco Smokovski – stock.adobe.com (2) Rente – Harte Reformen zwingend nötig An welchen Stellschrauben jetzt gedreht werden muss, um das System zukunftsfest zu machen – und generationengerecht Sie möchten schnell verstehen, wie dramatisch die Lage ist? Okay. Stellen Sie sich mal 100 Menschen im Erwerbsalter vor. Auf diese 100 Köpfe kommen heute knapp 40 Rentnerinnen und Rentner – so viele waren es noch nie! Und schon 2035, das ist in nur zehn Jahren, werden es fast 50 Ältere sein. Was passiert da mit unserer Gesellschaft? Ganz einfach: Die geburtenstarken Jahrgänge der „Babyboomer“ verabschieden sich aus dem Arbeitsleben, viel weniger junge Menschen rücken aus den Schulen nach. Was technisch-harmlos „demografischer Wandel“ heißt, hat unaufhaltsame Folgen. Vor denen die Politik sich zu lange weggeduckt hat, wie Professor Martin Werding kritisiert, einer der fünf „Wirtschaftsweisen“. DIE LAST DÜRFEN NICHT NUR DIE JÜNGEREN TRAGEN „In den letzten 15 Jahren hat die Politik sich nicht ausreichend um die Zukunft der Rente gekümmert“, betont Werding im Gespräch mit dem Kautschuk-Magazin. Logische Folge: „Die Öffentlichkeit ist noch nicht darauf eingestellt, wie groß der Reformbedarf inzwischen ist.“ Wobei für Werding und andere Experten klar ist, dass es nicht die eine geniale Maßnahme gibt, um das System zukunftsfest zu machen: „Wir müssen mehrere Stellschrauben zügig drehen – und so ernsthaft, dass es alle spüren werden. Denn die Last der Altersversorgung darf ja nicht einfach nur den Jüngeren aufgebürdet werden.“ Die wichtigsten Stellschrauben: Rentenalter an die fernere Lebenserwartung koppeln. Wir leben immer länger – dieses Plus muss generationengerecht verteilt werden. Bei voraussichtlich weiter steigender Lebenserwartung heißt das für Werding: „Zwei Drittel der gewonnenen Zeit muss man arbeiten, ein Drittel kann man als Zeit in der Rente dazubekommen.“ Technisch sollte das ab 2031 umgesetzt werden (wenn die Rente mit 67 voll gilt) – und schrittweise: „In den 2050er Jahren wären wir bei der Rente mit 68, in den 2070ern bei der Rente mit 69. Von einer ‚Rente mit 70‘ müssen wir also gar nicht reden.“ Rentenerhöhung an der Inflation ausrichten – also nicht mehr am allgemeinen Lohnanstieg. „Dann ist den Älteren der Kaufkrafterhalt gewährleistet, aber sie nehmen nicht mehr am Produktivitätszuwachs teil.“ Das trifft die, die sehr lange leben, besonders stark. Aber das sind vor allem Bezieher höherer Renten, damit dürfte diese Maßnahme nebenbei auch sozial ausgleichend wirken. Abschläge bei vorzeitiger Rente erhöhen und die abschlagsfreie Frührente abschaffen. „Versicherungsmathematisch sind die Abschläge zu gering“, sagt Werding. „Das begünstigt die Frührentner auf Kosten der Allgemeinheit.“ 5 bis 6 Prozent Abschlag pro Jahr wären rechnerisch fair – bisher werden da aber nur 3,6 Prozentfällig. Nachhaltigkeitsfaktor verstärken. Dieser Faktor sorgt dafür, dass die Renten weniger stark steigen, wenn sich das zahlenmäßige Verhältnis von Beitragszahlern zu Empfängern verschlechtert. Er baut sozusagen die Alterung der Gesellschaft in die Rentenformel ein. Aber seit 2024 ist dieser Faktor ausgesetzt, wegen der politischen Festschreibung des Rentenniveaus. „Das war ein schwerer Fehler“, so Werding. „Der Nachhaltigkeitsfaktor müsste sogar verstärkt werden.“ Thomas Hofinger „Die Öffentlichkeit ist noch nicht darauf eingestellt, welche Einschnitte nötig sind“ Professor Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrats Wirtschaft WER IN DEUTSCHLAND ARBEITET Etwa 54,5 Prozent der Bevölkerung sind erwerbstätig, 42 Prozent nicht – vor allem natürlich Kinder und Rentner, 3,5 Prozent sind arbeitslos gemeldet erwerbstätig arbeitslos nicht erwerbstätig Vereinfachte überschlägige Darstellung nach eigenen Berechnungen Sie haben gut lachen: Den meisten Senioren im Lande geht es ziemlich gut. Am 1. Juli sind die Renten um 3,74 Prozent gestiegen – und damit erneut viel stärker als die Preise. Kinder, Kinder: 2024 sind bei uns rund 680.000 Babys geboren worden. Im gleichen Jahr starb gut eine Million Bundesbürger – meistens in recht hohem Alter. Pflegeversicherung – Kein Boden unter den Füßen Der Beitrag zur Pflegeversicherung wurde 2025 erneut angehoben – und die Kosten steigen munter weiter In keinem anderen Zweig der Sozialkassen hat sich die Schieflage so verschlimmert wie in der Pflegeversicherung. Seit Anfang 2025 sind dafür im Schnitt bereits 3,6 Prozent des beitragspflichtigen Entgelts fällig. Bei einem Brutto von 4.000 Euro macht das jeden Monat 72 Euro für einen Arbeitnehmer mit einem Kind. Den gleichen Betrag muss auch der Arbeitgeber an die Pflegekasse löhnen. Im Jahr 2002 war der durchschnittliche Beitragssatz mit 1,7 Prozent nicht einmal halb so hoch. Ohne Reform ist diese Entwicklung nur ein schlechter Vorgeschmack auf kommende Zeiten. AUSGABEN HABEN SICH MEHR ALS VERDREIFACHT Kostentreiber war insbesondere der erhebliche Anstieg der Ausgaben für Pflegegeld. Alles in allem wuchsen die Ausgaben der Pflegeversicherung von unter 17 Milliarden Euro zu Beginn des Jahrtausends auf rund 60 Milliarden Euro. Kein Wunder: Die Zahl der offiziell pflegebedürftigen Personen hat stark zugenommen (auch wegen großzügigerer Regelungen seit 2017), auf fast sechs Millionen Menschen. Und ihre Zahl wird weiter deutlich steigen. 2024 verbuchte die Pflegekasse bereits ein Minus von rund 1,5 Milliarden Euro. 2026 dürfte der Fehlbetrag 3,5 Milliarden Euro erreichen, so erwartet es die Kranken- und Pflegekasse DAK. Trotz der rekordhohen Beiträge – und obwohl die Eigenanteile spürbar gestiegen sind, die die rund 800.000 Heimbewohner etwa zu den Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen beitragen müssen. Obendrein verschärfen sich die Engpässe beim Pflegepersonal. Laut Statistischem Bundesamt wächst die Lücke zwischen benötigten und verfügbaren Pflegekräften auf längere Sicht um zumindest 280.000 Köpfe. Klar ist: Damit die Pflegeversicherung dauerhaft leistungsfähig und finanzierbar bleibt, muss sie umfassend reformiert werden – auf Finanzierungs- wie auf Leistungsseite. Die Bund-Länder-Kommission „Zukunftspakt Pflege“ soll noch 2025 Vorschläge für entsprechende Reformen machen. Stephan Hochrebe Quellen: Statistisches Bundesamt, Bundesagentur für Arbeit KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025 — 09 08 — KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025

GANDERKESEE. Vier von fünf Menschen in Deutschland lassen sich in einer Urne beerdigen. Der Trend zur Feuerbestattung ist ungebrochen – nicht nur, weil sie deutlich günstiger ist als eine Erdbestattung. Die Urne entspricht auch dem Zeitgeist, in dem eine Grabstätte möglichst wenig bis gar keine Pflege benötigen soll. Doch eines sind Urnen bislang nicht: umweltfreundlich. Genau das möchte das junge Unternehmen Sustainable Manufacturing aus Ganderkesee in Nordwestniedersachsen ändern. „Die heute überwiegend genutzten Naturstoffurnen bestehen häufig aus einem Biopolymer, das sich im Erdreich nicht vollständig zersetzt. Auch werden weiterhin Urnen aus Metall oder anderen nicht vergänglichen Materialien genutzt“, sagt Finn Hillen, einer der vier Gründer. Das führe dazu, dass Urnen samt Asche der Verstorbenen auch nach Jahrzehnten nicht ins Erdreich übergehen und Friedhöfe nach Ablauf der Grabstelle einen neuen Platz für die Überreste finden müssen. Um diesen Schritt künftig überflüssig zu machen, entwickeln Hillen und seine Mitgründer Rob Leenen, Fynn-Luca Lampe und Jonas Altenburg gemeinsam mit ihrem Materiallieferanten einen biozirkulären Verbundstoff, aus dem Urnen gedruckt werden können und der sich im Laufe der Jahre vollständig zersetzt – ähnlich wie ein Holzsarg. Ihr Unternehmen, das seine Wurzeln in einer fixen Idee während der Coronapandemie hat, hat sich bereits in einem ganz anderen Marktbereich einen Namen gemacht. Unter dem Label Recozy bietet es erfolgreich Wohnaccessoires an, die komplett aus recyceltem Kunststoff gefertigt sind. Die Vasen, Leuchten und Hocker in trendigen Farben und Designs sind europaweit im Handel erhältlich, insbesondere über Concept-Stores, Möbelhäuser und bekannte Einrichtungsplattformen wie Westwing. Der Deko- und Einrichtungsbereich bildet klar das Kerngeschäft von Sustainable Manufacturing. „Mit unserer Handelsmarke erwirtschaften wir etwa die Hälfte unseres Umsatzes. Weitere 35 Prozent entfallen auf das White-Label-Geschäft und individuelle Kundenlösungen“, sagt Hillen. Unter White-Label versteht man, dass die Firma Produkte für andere Marken entwickelt, die diese – wie etwa Möbelserien – unter eigenem Namen anbieten. EIN PRAKTIKANT BRINGT DIE URNE INS SPIEL Doch dabei soll es nicht bleiben: „Der Möbelhandel ist ein stark zyklisches Geschäft. Gerade als junges Unternehmen wünscht man sich eine stabilere Auslastung über das ganze Jahr, nicht nur im Herbst und Winter.“ Deshalb setzt das Unternehmen von Anfang an auf mehrere Standbeine und fertigt beispielsweise auch Prototypen und Kleinserien für die Industrie. Die Idee, Urnen ins Portfolio aufzunehmen, kam eher zufällig durch einen Schülerpraktikanten aus einer Bestatterfamilie. „Wir fanden es ökologisch fragwürdig, dass der Großteil aller Menschen in Gefäßen beerdigt wird, die sich nicht vollständig zersetzen“, sagt Hillen. Das Team entwickelte daraufhin erste Designs: modern in der Formsprache, angelehnt an die eigene Wohnkollektion und zunächst noch aus herkömmlichem Kunststoff.„Wir wollten prüfen, ob unsere Idee überhaupt auf Interesse stößt.“ Das Ergebnis war überwältigend. Auf kleineren Fachmessen präsentierten die Gründer ihre Urnen und wurden förmlich überrannt. „Viele Bestattungsunternehmer wollten am liebsten sofort bestellen“, erzählt Hillen. Trotz der großen Nachfrage konnte die neue Urnensparte Circart bisher nicht auf den Markt gebracht werden. Grund dafür ist die Materialentwicklung, die sich als komplexer als erwartet gestaltet. Gemeinsam mit einem niederländischen Partner arbeitet Sustainable Manufacturing an einem innovativen, vollständig abbaubaren Kunststoff, der unter anderem aus Eierschalenresten besteht. Die Basis bildet Polyhydroxyalkanoat (PHA), ein biobasierter Kunststoffersatz, der durch Fermentation von Kohlenhydraten entsteht und sich in der Umwelt rückstandslos abbaut. IM KREISLAUF DER NATUR Erste Tests verliefen vielversprechend, zeigten jedoch noch Schwächen wie Rissbildung und Farbabweichungen, die auf den hohen Kalkanteil zurückzuführen sind. Ab Herbst soll eine eigens angeschaffte Homogenisierungsmaschine für eine gleichmäßigere Materialqualität sorgen und den Weg für die Markteinführung ebnen. „Asche zu Asche, Staub zu Staub“ – dieser Satz gehört zu jedem christlichen Begräbnis und erinnert daran, dass der menschliche Körper nach dem Tod wieder in seine Elemente zerfällt. Eine Urne, die sich zersetzt, ist daher mehr als ressourcenschonend: Damit wird die letzte Ruhestätte zum Teil des natürlichen Kreislaufs. Isabel Link Unser Ding Asche zu Asche Natürlich vergänglich: Das Start-up Sustainable Manufacturing entwickelt Urnen, die sich – wie menschliche Asche – selbst zersetzen Auch für Haustiere bietet das Unternehmen bereits Urnen an. Die sind allerdings nicht abbaubar und eher für den Kaminsims gedacht. Die Firmengründer: Rob Leenen, Finn-Maximilian Hillen, Fynn-Luca Lampe und Jonas Altenburg (unten, von links). Fotos: KAUTSCHUK/Daniel Heitmueller (5) Trendig: Der 3D-Druck ermöglicht es, unterschiedlichste Formen und Farben (oben) in Kunststoff zu verwirklichen. Schicht für Schicht: Je nach Größe des Produkts arbeitet der 3D-Drucker (rechts) wenige Minuten bis mehrere Stunden an einem Stück. Kunterbunt: Der recycelte Kunststoff (rechts unten) ist in nahezu jeder Farbe erhältlich. Sustainable Manufacturing – die Fakten Das Unternehmen wurde im Jahr 2021 von Finn Hillen, Rob Leenen, Fynn-Luca Lampe und Jonas Altenburg in Ganderkesee, Niedersachsen, gegründet. Aktuell beschäftigt der Betrieb elf Mitarbeitende und fertigt im 3D-Druck-Verfahren Design- und Industrieprodukte aus recycelten Kunststoffen. Unter dem Label „Recozy” vertreibt die Firma europaweit Wohnaccessoires wie Vasen, Leuchten oder Hocker. „Viele Bestattungs- unternehmen wollten am liebsten sofort bestellen“ Finn Hillen,Co-Founder von Recozy KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025 — 11 10 — KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025

BOTTROP. Anfang September hat der Chemiedienstleister seinen Standort im Ruhrgebeit erweitert. Im Chefgespräch erklärt Geschäfsführer Martin John, was Kautschuk-Kunden dort erwartet. Herr John, Krahn Chemie ist ein unabhängiger Chemiedistributor – was verstehen Sie darunter? John: Aus einem Netzwerk an Produzenten stellen wir die Lösung zusammen, die zur Anwendung passt – hinsichtlich Leistung, Verfügbarkeit, Nachhaltigkeit und Gesamtkosten über den Lebenszyklus. Wir wollen alles zusammenzubringen: Märkte mit Innovationen, Verarbeiter mit Produzenten, Fragen mit Antworten. Als Familienunternehmen können wir Kunden optimal bei Wachstum begleiten, ohne Quartalsdruck, mit hoher Verlässlichkeit und schnellen Entscheidungen. Welche Arbeiten übernehmen Sie für Ihre Kunden aus der Grundstoff- und Kautschukindustrie konkret? John: In erster Linie beraten wir zu Rohstoffen, die sie in ihren Produkten verwenden. Und wir stellen die Versorgung mit den benötigten Roh- und Hilfsstoffen aus unserem Angebot sicher. Darüber hinaus unterstützen wir unsere Kunden auch bei der Entwicklung nachhaltigerer Produkte. Wie helfen Sie dabei konkret? John: Zum Beispiel mit Dienstleistungen wie Lebenszyklusanalysen, der technischen Evaluierung von innovativen Rohstoffen und Workshops zu konkreten Projekten – und das immer mit dem Ziel einer nachhaltigeren Produktion. Dazu zählen zum Beispiel auch Recyclingprojekte im Bereich Kautschuk. Wo kommt der Verbraucher mit Ihren Produkten und Dienstleistungen in Berührung? John: Als Distributor stellt Krahn Chemie keine eigenen Produkte her. Es ist vielmehr so, dass wir eine Vielzahl namhafter Produzenten vertreten, deren Rohstoffe und Additive bringen wir in die verarbeitende Industrie. Der Verbraucher kommt mit unseren Produkten natürlich trotzdem täglich in Kontakt: in Reifen, Kabeln und Dichtungen, Farben, Lacken und Kunststoffen, in Klebstoffen oder Beschichtungen für Gebäude und Infrastruktur und bei vielem mehr. Wir sorgen dafür, dass die richtigen Materialien zur richtigen Zeit beim Verarbeiter sind. Damit tragen wir dazu bei, dass Innovation, Qualität und Verlässlichkeit beim Verbraucher ankommen. Sie haben vor Kurzem Ihren Standort in Bottrop ausgebaut. Warum die Erweiterung – und welche Leistungen bieten Sie dort jetzt an? John: Wir haben unseren Standort in Bottrop erweitert, um Theorie und Praxis, also Schulungen und Labordienstleistungen, noch stärker miteinander zu verbinden. Das gibt unseren Produzentenpartnern und Kunden in Zukunft die Möglichkeit, gemeinsam mit uns Schulungen zu veranstalten, sich weiterzubilden, Produkte direkt zu testen und vor Ort mit uns in die Entwicklung zu gehen. Außerdem wollen wir so die Entwicklung nachhaltiger Produkte an unserem Standort in Bottrop mit unseren Partnern vorantreiben. Die Investition ist ein Bekenntnis zum Standort Deutschland. Wo sehen Sie die Stärken der Industrie? John: Die deutsche Chemieindustrie hat drei große Stärken: erstens ihre enorme technische Kompetenz, vom Anlagenbau bis zur Formulierungs- und Anwendungstechnik. Zweitens die Nähe zu Kundenindustrien wie Automobil, Bau oder Verpackung, die kurze Innovationszyklen und eine enge Zusammenarbeit möglich macht. Und drittens eine traditionell starke Mittelstandsstruktur, die Spezialwissen, Flexibilität und langfristige Partnerschaften verbindet. Und wo besteht Verbesserungspotenzial? John: Bei Geschwindigkeit und Rahmenbedingungen. Wir haben technologisch alles in der Hand, aber Entscheidungs- und Genehmigungsprozesse dauern oft zu lange. Wenn wir es schaffen, Bürokratie abzubauen, Investitionen schneller umzusetzen und stärker in neue Kompetenzen zu investieren – etwa Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft –, dann können wir unsere Stärken in Zukunft voll ausspielen. Wie entwickeln sich derzeit die Geschäfte im Bereich Kautschuk und Grundstoffe? John: Wir beobachten, dass der Markt rückläufig ist. Und wir spüren – wie viele Partner im Markt gerade – Fotos: Krahn (Porträt), KAUTSCHUK/Daniel Roth (4) die Auswirkungen davon. Wir sind der Kautschukindustrie seit vielen Jahren verbunden und versuchen über innovative Projekte Wege zu finden, um unsere Partner zu unterstützen, langfristig zukunftsfähig zu bleiben. Ein Unsicherheitsfaktor in vielen Branchen sind die US-Zölle. Berührt das jetzt zwischen den USA und der EU vereinbarte Handelsabkommen Ihre Geschäfte? John: Unser Geschäft hängt nicht primär an transatlantischen Zöllen. Was wir dagegen deutlich spüren, sind die indirekten Effekte: Wenn Handelskonflikte Unsicherheit schaffen, bremst das Investitionen und schwächt die weltweite Nachfrage. Das wirkt sich auch auf die Chemie- und Kautschukindustrie aus. Für uns als Distributor heißt das, dass wir mit mehr Schwankungen in den Märkten umgehen müssen. Entsprechend stellen wir unsere Geschäfte auf. Abgesehen vom Zollkonflikt: Welchen Herausforderungen muss sich die Branche Ihrer Meinung nach in Zukunft stellen? John: Seit 2020 erleben wir Rahmenbedingungen, die von zunehmender Unbeständigkeit geprägt sind – ob durch neue Regulierungswellen, geopolitische Spannungen oder die aktuelle Rezession. Das hat dazu geführt, dass viele Unternehmen Investitionen verschie- „Technologisch hat die Chemieindustrie alles in der Hand, aber Entscheidungs- und Genehmigungsprozesse dauern oft zu lang“ Martin John, Geschäftsführer Krahn Chemie Beschleuniger der Branche Chefgespräch Martin John leitet seit Juni den Chemiedistributor Krahn Chemie. Welche Aufgaben übernimmt der Dienstleister für die Industrie? Krahn Chemie – die Fakten Das Unternehmen Krahn Chemie mit Sitz in Hamburg gehört zur 1909 gegründeten Otto Krahn Gruppe. Die 280 Beschäftigten arbeiten im Vertrieb, Marketing und Verkauf von Spezialchemikalien und Wärmeträgerflüssigkeiten. Den 5.000 Kunden bietet das Unternehmen anwendungstechnische Beratung, Nachhaltigkeitsservices und Laborleistungen an. ben oder sehr selektiv tätigen. Und während Kosten und regulatorische Anforderungen steigen, bleiben qualifizierte Fachkräfte knapp. Das alles macht es schwieriger, Innovationen voranzutreiben. Ich bin aber der Meinung: Wer hohe Materialkompetenz besitzt, rechtliche und regulatorische Anforderungen nicht nur einhält, sondern proaktiv und mit hoher Datenqualität umsetzt, macht aus verlässlichen Regulierungen keinen Bremsklotz, sondern einen Wettbewerbsvorteil. Als Distributor sind wir Übersetzer, Beschleuniger und Risikomanager zugleich. Genau dort liegt die Chance in den nächsten Jahren. Wie kann die Politik dabei helfen? John: Durch klare, langfristige Rahmensetzung und eine praktikable Umsetzung. Unternehmen können mit Regeln umgehen. Entscheidend ist, dass sie konsistent, europäisch abgestimmt und planbar sind. Ebenso wichtig ist die Umsetzbarkeit im Alltag: Digitale Nachweissysteme, weniger Bürokratie und realistische Übergangsfristen schaffen den Freiraum, in Innovation und Nachhaltigkeit zu investieren. Anja van Marwick-Ebner Im Farbmetrik- labor: Chemie- laborantin Beata Fila wiegt verschiedene Pigmentpräparationen ab. Festigkeitsprüfung: Baustoff-Prüfer Tobias Piontek testet hier das Haftungs- und Festigkeitsverhalten von Fliesenkleber. Um die Testumgebung konstant zu halten, herrscht in dem Labor Sommer wie Winter das gleiche Klima. KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025 — 13 12 — KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025

KÖLN. Freitagabend, eine Party. Die Stimmung ist entspannt, das Gespräch locker. Ein Kollege erzählt von einem neuen Projekt, das „noch geheim“ sei – und doch folgen Details. Ein anderer ergänzt: „Die Geschäftsführung ist sich da gar nicht einig.“ Die Runde wird still. Ein kurzer Moment, in dem klar wird: Hier wurde mehr gesagt, als gut ist. „Oft unterschätzen Beschäftigte, wie schnell sie gegen Verschwiegenheitspflichten verstoßen“, sagt Dirk Seeliger, Leiter der Rechtsabteilung im Arbeitgeberverband der Deutschen Kautschukindustrie (ADK). „Wer Interna ausplaudert, riskiert arbeitsrechtliche Konsequenzen – von der Abmahnung bis zur Kündigung.“ Was früher als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis unterschieden wurde, ist heute rechtlich gleichgestellt. „Juristisch sprechen wir nur noch von Geschäftsgeheimnissen“, erklärt Seeliger. Drei Kriterien müssen erfüllt sein, damit eine Information als Geschäftsgeheimnis geschützt ist: Sie darf nicht allgemein bekannt oder leicht zugänglich sein. Sie muss einen wirtschaftlichen Wert für das Unternehmen haben. Und sie muss durch angemessene Maßnahmen geschützt sein – etwa durch Zugangskarten oder Passwörter. Doch auch Betriebsinformationen, die nicht unter das Gesetz fallen, darf man nicht automatisch weitertratschen. „Laut Arbeitsvertrag haben Beschäftigte Loyalitätspflichten. Dazu gehört, Interna für sich zu behalten“, erklärt Seeliger. Was im Gespräch unter Kollegen erlaubt ist, hängt davon ab, ob die Information allgemein zugänglich ist. Über die neue Dienstplanung oder den Kantinen-Speiseplan etwa darf man sprechen. Bewerbungsunterlagen oder Preiskalkulationen hingegen sind tabu – es sei denn, der Gesprächspartner ist in seinem Job direkt mit dem Thema befasst „Ein Personaler darf mit einem anderen Personaler über einen Bewerber sprechen, aber nicht mit dem Pförtner“, sagt Seeliger. „Und auch in Projektgruppen gilt: Nur wer eingebunden ist, darf mitreden. Die Faustregel lautet: Im Zweifel lieber schweigen – das schützt die Karriere.“ AUCH DER PARTNER DARF NICHTS WISSEN Natürlich darf man auch Außenstehenden von seinem Job erzählen. Probleme bei der Arbeit etwa kann man mit seinem Partner, der besten Freundin oder auch einem Anwalt teilen: „Das sind Gespräche, bei denen man berechtigterweise davon ausgehen darf, dass deren Inhalt vertraulich bleibt“, sagt der Arbeitsrechtsexperte. Öffentlich zugängliche Informationen wie eine Stellenausschreibung oder die nächste Weihnachtsfeier sind überall ein unproblematisches Gesprächsthema. Doch wer erzählt, dass die Geschäftsführung zerstritten ist oder ein Produkt Mängel hat, riskiert seinen Job – vor allem dann, wenn das in sozialen Medien geschieht. „Echte Geschäftsgeheimnisse wie diese darf man nicht einmal dem eigenen Ehepartner verraten“, warnt Seeliger. Pssssssst! Fit für den Job Wer Geschäftsgeheimnisse verrät, riskiert rechtliche Folgen. Sogar dann, wenn er mit einem Chatbot plaudert Illustration: c_pukach2012 – stock.adobe.com Was passiert aber, wenn doch einmal Interna ausgeplaudert werden, ob absichtlich oder aus Versehen? Wird das entdeckt, hängen die Konsequenzen vom Einzelfall ab. „Liegt ein Verstoß gegen die Loyalitätspflichten vor, greifen arbeitsrechtliche Maßnahmen“, erklärt Seeliger. „Bei echten Geschäftsgeheimnissen drohen sogar Schadenersatzforderungen und Abmahnungen bis hin zur Kündigung.“ Voraussetzung: Der Arbeitgeber muss die Tat beweisen können und die Sanktionen müssen verhältnismäßig sein. „In der Praxis werden solche Vorfälle dann häufig vor Gericht entschieden“, sagt der ADK-Experte. Übrigens: Auch KI-Tools wie Copilot oder ChatGPT darf man nicht mit Betriebsinformationen füttern. Wer etwa im Chat mit der KI interne Daten oder technische Produktinformationen hochlädt, könnte damit unbeabsichtigt Geschäftsgeheimnisse preisgeben. Manche KI-Modelle können aus Nutzereingaben lernen, um sich zu verbessern. Dann besteht die Gefahr, dass vertrauliche Inhalte in zukünftigen Antworten auftauchen – auch bei anderen Nutzern. Deshalb sollte man KI im Job nur mit Vorsicht einsetzen und immer die unternehmensinternen Regeln im Blick haben. Auch dazu hat der ADK-Experte eine Faustformel: „Interna, die man nicht auf Facebook posten würde, gehören ohne klare Vorgaben auch nicht in eine KI.“ Silke Becker / Michael Aust Wusstest du schon, dass ... 14 — KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025

KLEINE HÖFE IN DER KRISE Es gibt immer weniger Betriebe: 255.000 Bauernhöfe gibt es aktuell, fast 32.000 weniger als vor zehn Jahren. Vor allem kleine Höfe werden stillgelegt, große werden noch größer. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche ist daher gleich geblieben. WAS BAUERN BEDROHT Ähnlich wie in der Industrie ist der Wettbewerb hart, denn in vielen anderen Ländern können Lebensmittel billiger produziert werden, nicht zuletzt wegen der Lohnkosten. Sorgen bereitet Bauern daher der deutsche Mindestlohn: Er soll bis Anfang 2027 von 12,82 auf 14,60Euro pro Stunde erhöht werden. Zum Vergleich: In Polen liegt er bei 7,08 Euro, in Griechenland bei 5,60 Euro. In der hiesigen Produktion sind übrigens 28 Prozent der Beschäftigten Saisonarbeitskräfte, viele aus dem Ausland. NUR WENIGE ARBEITEN VOLL Weniger als ein Drittel der in der Landwirtschaft Beschäftigten arbeiten Vollzeit. Auch deshalb, weil weniger rentable Höfe oft nebenberuflich geführt werden. HIER LIEGEN NEUE CHANCEN 78 Prozent der Landwirte sehen Digitalisierung als Chance. 2022 hatten 58 Prozent GPS-gesteuerte Landmaschinen. Jeder siebte Bauer nutzte Big Data und KI – etwa, um Pflanzenschutzmittel gezielter aufzubringen. Jeder vierte erzeugt auch Ökostrom. HIGHTECH ALS ERNTEHELFER Ein Landwirt ernährt heute im Schnitt dreimal so viele Menschen wie noch im Jahr 1980. Auch dank moderner Technik! Algorithmen werten Satelliten- und Drohnenbilder aus, Sensoren 875.900 MENSCHEN ARBEITEN IN DER LANDWIRTSCHAFT. 1991 WAREN ES NOCH DOPPELT SO VIELE Alles vom Acker Zahlen & Fakten Die deutsche Landwirtschaft muss kämpfen. Den Bedarf an Lebensmitteln können wir nur noch zu 83 Prozent selbst decken. Was unsere Bauern bedroht – und womit sie punkten analysieren die Böden genau. Die besten Mähdrescher haben rund 800 PS und arbeiten mit Schnittbreiten von 15 Metern. Kühe können teilweise selbst entscheiden, wann sie gemolken werden wollen. Denn es gibt Melkroboter, die vollautomatisch arbeiten. Die Kuh muss sich nur anstellen. Barbara Auer 16,7 MILLIONEN HEKTAR FLÄCHE WERDEN BEWIRTSCHAFTET 75,4 MILLIARDEN EURO PRODUKTIONSWERT HABEN LANDWIRTE HIERZULANDE 2024 ERZEUGT MEHR MILCH PRO KUH Milchleistung (in Kilo pro Tag) 200 MILLIONEN NUTZTIERE SORGEN FÜR FLEISCH UND MILCH 147 MENSCHEN ERNÄHRT EIN AKTIVER LANDWIRT IM SCHNITT 36.680 BAUERN- HÖFE LIEFERN BIO-PRODUKTE SO UNABHÄNGIG IST DEUTSCHLAND Selbstversorgungsgrad mit Lebensmitteln aus heimischer Produktion Illustrationen: Golden Sikorka – stock.adobe.com Quellen: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, Bundeslandwirtschaftsministerium, Bitkom/Studie „Digitalisierung in der Landwirtschaft“, Statistisches Bundesamt, Thünen-Institut 107 % Milch 104 % Getreide 20 % Obst 73 % Eier 42 % Honig 37 % Gemüse 153 % Kartoffeln 120 % Fleisch 155 % Zucker 1950 6,8 kg 2024 25,9 kg 2000 23,2 kg KAUTSCHUK AUSGABE 23 / OKTOBER 2025 — 15

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